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Im Portrait: Rolf Verres - der Mann der großen Gefühle

Im Portrait: Rolf Verres - der Mann der großen Gefühle

Von Ingrid Thoms-Hoffmann
Rhein Neckar Zeitung (28.09.2013)

Gäbe es mehr Menschen wie ihn, vielleicht wäre die Welt ein wenig entspannter, ein bisschen friedlicher. Vielleicht würde sie sich mehr auf Werte besinnen, die unser tiefstes Sein ausmachen. Deshalb erstaunt es auch nicht, als Rolf Verres auf die Frage, was denn im Ruhestand sein großes Thema sein wird, schlicht mit einem Wort antwortet: Kontemplation. Die innere Betrachtung, die von Ruhe und sanfter Aufmerksamkeit bestimmt ist. Eine Aufmerksamkeit, die auch nach außen wirkt.

Jahrzehntelang hat er versucht, dies seinen Studenten mitzugeben, ihnen zu erklären, dass Gefühle ebenso zur Medizin gehören wie Naturwissenschaften und chirurgisches Handwerk. Dass die Kommunikation mit dem Patienten ein wesentlicher Bestandteil des Arztberufs ist. Er wird das "Dolmetschen", wie er es nennt, nicht mehr an die angehenden Mediziner weitergeben. In der letzten Woche verabschiedeten Kollegen, Freunde und Weggefährten den Ärztlichen Direktor der Medizinischen Psychologie am Universitätsklinikum mit einem großen Symposium. 22 Jahre lang leitete er das Institut. Die Achtung vor seiner Arbeit, die hat ihn gefreut.

Entspannt ist er, der so unprätentiöse Herr Professor in seinem lichtdurchfluteten Haus in Wilhelmsfeld. Von der großen Terrasse aus schaut er über die sanften Hügel, die Herbstblumen blühen. Der selbst gemachte Holundersaft schmeckt köstlich. Eine Umgebung zum Wohlfühlen, zum Diskutieren, zum Musizieren. Die Musik ist die große Leidenschaft von Verres. Die heiteren Improvisationen auf dem Fazioli-Flügel wirken fast schon therapeutisch, schaffen ein positives Umfeld für das Gespräch mit ihm, das gute drei Stunden dauern sollte. Es hätte noch ein paar Stündchen gehen können.

Sich mit dem 65-Jährigen zu unterhalten, ist ein Gewinn. Da ist nichts Oberflächliches oder schnell Hingesagtes, da ist eine große Ehrlichkeit und Offenheit bei dem Mann, der in dritter Ehe glücklich mit Michaela, einer Sozialarbeiterin, verheiratet ist, der von seiner Ex-Gefährtin Dörthe, der Psychologin, voller Hochachtung spricht. "Friede" ist es, was er sucht. Vielleicht war es dieser Anspruch, der den Arzt und Psychologen zu einem Pionier seines Fachs werden ließen. Verres ist ein emotionaler Mensch, einer der unumwunden dazu steht, Tränen inbegriffen. Folgerichtig ist seine Profession die Medizinpsychologie, die Sprache der Gefühle. Für die sieht er in der vom Leistungsgedanken und Ökonomie geprägten Universitätsmedizin zu wenig Raum, sagte er bei seiner Abschiedsvorlesung. Er weiß, wie wichtig Gefühle im nüchternen Medizinalltag sind, weiß um die Befindlichkeit des Patienten und um die Verantwortung des Arztes, sorgsam damit umzugehen. "Gefühle werden zum Störfaktor", wenn es nur noch um die Wirtschaftlichkeit der Kliniken geht. Und fuchsteufelswild kann er werden, wenn er daran denkt, dass fast nur Abiturienten mit einem 1,0-Schnitt zum Medizinstudium zugelassen werden. "Das ist doch verheerend"

. Das ist ein Punkt, weshalb er froh ist, sich aus dem Berufsleben zurückziehen zu können. Bis 70 hätte er noch weitermachen können. Aber in einem Betrieb, in dem Umsatz, die Anzahl der Studien, die Menge der Patienten, der Druck auf die Studenten eine große Rolle spielen, da kam er einfach an seine Grenzen. "Die Rahmenbedingungen sind konträr zu meiner Auffassung", sagt er. Schwingt da so etwas wie Resignation mit? "Nein, keinesfalls". Schließlich habe er doch ziemlich viel erreicht. Darauf ist er stolz. Dass er jungen Menschen die Wichtigkeit des Seelenlebens nahebringen konnte, die Achtsamkeit im Umgang mit dem Gegenüber. Das ist ihm wichtiger als all die Publikationen, auf die er natürlich auch verweisen kann.

Überhaupt die Beziehung zu Menschen, das war ihm im Berufsleben und das ist ihm im Privaten wichtig. Gerne erzählt er von seiner Freundschaft mit Konstantin Wecker, jenem Liedermacher, der durch seine Drogensucht so tief abstürzte und der es am Ende doch gepackt hat. Es war erst einmal nicht die Musik, die sie zusammenbrachte, es war der Arzt, der Wecker nach einem Konzert in der Stadthalle hinter der Bühne aufsuchte. "Er kam mir krank vor", sagt Verres heute. "Ich wollte ihm helfen". Eine tiefe gegenseitige Zuneigung verband ihn auch mit Albert Hofmann. Der entdeckte Mitte der 40er Jahre das Halluzinogen LSD durch Selbstversuche. Als er - hoch geachtet - 2008 in der Schweiz starb, da hatte Verres einen Freund verloren, mit dem ihn die Leidenschaft verband, andere Bewusstseinsräume zu erkunden und dies für die Gesundheitsförderung und Persönlichkeitsentwicklung nutzbar zu machen.

Ein spannendes Berufsleben liegt hinter Verres, der in Coesfeld, einer Kleinstadt im Münsterland, geboren wurde. Der auf einem Feld forschen konnte, das vor ihm keiner so beackerte. Ganzheitlich sieht er den Menschen, maß der Musiktherapie eine große Rolle zu, erforschte Prävention von Drogenmissbrauch, widmete sich der Bedeutung von Ritualen für die psychische Gesundheit.. Es gäbe noch so vieles aufzuzählen. So seine Reisen um den Globus, seine Erfahrungen bei afrikanischen Musikern,, seine unzähligen Veranstaltungen in Heidelberg, die der Stadt ungewöhnliche kulturelle Ereignisse bescherten, seine Begeisterung für die Fotografie.

Es ist die Vielseitigkeit, die an diesem Mann fasziniert. Und natürlich die Liebe zur Musik. Seinen Eltern ist er heute noch dankbar, dass sie ihm Klavierunterricht bei einer "wunderbaren Lehrerin" ermöglichten. Dass sich bei den klassischen Läufen seine Hand oft verkrampfte, hielt ihn vermutlich davon ab, eine Pianistenkarriere anzustreben. Dafür spielte er mit 17 Jahren den Bass in einer Pop-Gruppe. Trotzdem ist es das Klavier, zu dem es ihn immer wieder zieht. Seine dritte CD wartet auf die Veröffentlichung. Bislang fehlte ihm die Zeit dazu. Jetzt hat er sie. Auch die Zeit, sich in einen Computer einzuarbeiten. "Bisher kam ich immer ohne aus", grinst er. "Jetzt habe ich bei der VHS einen Kurs entdeckt 'Opa, das kannst Du auch'. Ich werde es versuchen".

"Den Stellenwert des eigenen Lebens" will Verres ausloten. "Im Beruf kann man ohnehin nur einen Teil dessen leben, was in uns steckt". Für ihn beginnt jetzt eine Phase, die Hermann Hesse die "Zweistimmigkeit der Lebensmelodie" nennt. Wir werden von dem Menschenfreund, den die gebrochenen Biografien interessieren und der die Authentizität so schätzt, sicher noch einiges zu hören und sehen bekommen. Es wäre uns zu wünschen.



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Rhein Neckar Zeitung, der Artikel erschien am 28.09.2013, um 06:00, Foto: Alex